Rückblicke, 04-01-94
Drei Flugzeuge der mexikanischen Luftwaffe haben am Dienstag abend (Ortszeit) einen Berg nahe der Stadt San Cristobal de las Casas im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas bombardiert. Der 20minütige Angriff sei von Kräften der Zapatistischen Nationalen Befreiungsarmee mit Maschinengewehrfeuer beantwortet worden.
Dies berichteten Bewohner der Stadt, die den Angriff vom Dach ihrer Häuser am Rande der einstigen Kolonialstadt beobachtet haben. Während der Operation habe ein Helikopter das Gebiet überflogen, berichteten Augenzeugen. Auf dem Berg, der etwa zehn Kilometer von San Cristobal de las Casas auf dem Weg nach Ocosingo in der Nähe des Militärstützpunktes Rancho Nuevo liegt, befindet sich eine Siedlung der Chamula-Indianer.
Die Kämpfer der „Zapatistischen Nationalen Befreiungsfront“ (EZLN) erwiderten offenbar das Feuer mit Maschinengewehren, wie berichtet wurde. Nach der Besetzung von insgesamt vier Städten im Süden Mexikos zogen sich die Aufständischen am Dienstag in die Berge zurück.
Nach Angaben des AFP-Korrespondenten und örtlicher Medienvertreter verliessen die Indianer die Orte Ocosingo und Altamirano, ohne dass die Armee jedoch zunächst einrückte. In den Strassen seien zahlreiche Tote zurückgeblieben. In der Ortschaft Oxchuc soll die indianische Bevölkerung die EZLN-Guerilleros attackiert und sechs von ihnen gefangenengenommen haben, um sie der Armee zu übergeben.
Bei den Kämpfen zwischen Militär und den indianischen Guerilleros kamen nach einer vorläufigen Bilanz des mexikanischen Verteidigungsministeriums 92 Menschen ums Leben. Demnach wurden 58 Aufständische sowie sieben Soldaten getötet. 27 Zivilisten und Polizisten seien bei der Eroberung der Städte durch die EZLN getötet worden.
REF 06/01/94
Zahlreiche mexikanische Intellektuelle haben am Donnerstag die sofortige Einstellung der seit drei Tagen andauernden Bombardements der mexikanischen Luftwaffe gegen ein dichtbesiedeltes Gebiet in den Bergen nahe der Stadt San Cristobal de las Casas gefordert. Dort haben sich Rebellen der Zapatistischen Nationalen Befreiungsarmee (EZLN) zurückgezogen, die am 1. Januar einen Aufstand im südlichen Bundesstaat Chiapas begonnen hatten.
„Aus humanitären, moralischen und politischen Gründen verlangen wir die sofortige Beendigung der Bombardements“, sagten die 128 protestierenden Intellektuellen, darunter die auch die international bekannten Schriftsteller Carlos Fuentes, Carlos Monsivais, Elena Poniatowska, Jose Emilio Pacheco und Carlos Montemayor in einer in der mexikanischen Presse veröffentlichten Erklärung.
Ausserdem forderten sie die unbeschkränkte Beachtung der Menschenrechte im Kriegsgebiet sowie Aufklärung der Verstösse, die in den vergangenen Tagen begangenen worden seien. Nach Angaben von Journalisten, die vor Ort über die Gefechte berichten, sind mindestens fünf Rebellen in der Stadt Ocosingo offenbar von Soldaten der mexikanischen Armee hingerichtet worden. Die Leichen seien mit auf dem Rücken gefesselten Händen und Schüssen im Kopf gefunden worden.
In der bergigen Umgebung von San Cristobal de las Casas war am Mittwoch ein Kleinbus mit sechs mexikanischen Journalisten von Maschinen der mexikanischen Luftwaffe beschossen worden. Nach Angaben des Bischofs von San Cristobal de las Casas, Samuel Ruiz, werden mehrere indianische Campesinos in dem bombardierten Gebiet vermisst.
REF 07/01/94
Südmexiko Armee setzt Schweizer Pilatus-Flugzeuge ein
Die Armee in Mexiko hat offenbar bei der Bombardierung von Stellungen der aufständischen Indios Schweizer Pilatus-Flugzeuge eingesetzt. Nach Angaben der mexikanischen Nachrichtenagentur Notimex warfen die Maschinen am Mittwoch Bomben in der Umgebung von San Cristobal de las Casas ab. Wie Pilatus-Direktor Oscar J. Schwenk am Donnerstag der Nachrichtenagentur SDA bestätigte, wurden zwischen 1979 und 1992 88 Flugzeuge vom Typ PC-7 nach Mexiko geliefert.
Nach Angaben von Pilatus dürften derzeit von den exportierten Maschinen noch rund 70 im Einsatz stehen. Ein Teil der Flugzeuge sei offenbar nachträglich für militärische Einsätze nachgerüstet worden. Deshalb sei es durchaus möglich, dass Pilatus-Maschinen für die Bombardierungen eingesetzt wurden, sagte Schwenk weiter.
Trotz der Möglichkeit Aufhängevorrichtungen für Bomben unterhalb der Flügel anzubringen, gelten die Pilatus-Maschinen als zivile Flugzeuge. Aus diesem Grund fallen sie auch nicht unter das Kriegsmaterialgesetz. Eine Modifizierung des Gesetzes wird derzeit diskutiert. Nach Angaben von François Godet, stellvertretender Generalsekretär in der Rechtsabteilung des Eidg. Militärdepartements (EMD), dürfte das Kriegsmaterialgesetzt künftig breiter ausgelegt werden. Mit der Anwendung sei ab 1996 zu rechnen.
Protest der ARW
Die Arbeitsgemeinschaft für Rüstungskontrolle und ein Waffenausfuhrverbot (ARW) protestierte am Donnertstag gegen den Einsatz von Pilatus-Flugzeugen in Mexiko. In einem Communiqué forderte die ARW Wiedergutmachung durch den Oerlikon-Bührle Konzern und den Bundesrat.
Aufstand noch nicht unter Kontrolle
Mit schwerer Artillerie setzten die mexikanischen Streitkräfte am Donnerstag ihre Offensive gegen die aufständischen Indianer im Bundesstaat Chiapas fort. Korrespondenten berichteten aus dem Kampfgebiet, Regierungssoldaten hätten Positionen der „Zapatistischen Nationalen Befreiungsarmee“ (EZNL) im Gebiet des Berges Maria Auxiliadora rund acht Kilometer südöstlich der Stadt San Cristobal de las Casas mit Mörsern und Kanonen beschossen. Die Armee setzten den Angaben zufolge neben Flugzeugen auch Panzer ein.
Präsident Carlos Salinas de Gotari schickte inzwischen den Vorsitzenden der Menschenrechtskommission, Jorge Madrazo, nach Chiapas. Dieser erklärte auf einer Pressekonferenz, er werde allen Berichten über Menschenrechtsverletzungen dort nachgehen. Dabei sei unerheblich, wer beschuldigt werde. Wenn es konkrete Hinweise gegen Angehörige der Streitkräfte gebe, würden auch die überprüft, sagte Madrazo.
Rückzug in die Berge – Bombardierung von Zivilisten
Regierungssprecher Eloy Cantu Segovia erklärte, die Aufständischen zögen sich in die unbewohnten Berge zurück. Ob dies blosse Taktik sei, könne er nicht beurteilen. Einzelne Gruppen setzten aber ihre Angriffe auf die Armee fort. Diese ging ihrerseits mit geschätzten 12 000 Mann gegen die Rebellen vor, die sich als Nachfahren der Maya- Indianer bezeichnen.
Die Bombardierung von Zivilisten und Presseleuten in den Vororten San Cristobals am Mittwoch nannte Cantu einen unglücklichen Zwischenfall, der überprüft werde. Die mexikanische Luftwaffe hatte das El Corralito genannte Gebiet angegriffen, wo die Presse gerade Bewohnerinnen und Bewohner nach vorangegangen Attacken befragten.
Offenbar bereits 400 Tote
Die Rebellen, deren Zahl auf bis zu 2000 Mann geschätzt wird, werfen der Regierung Völkermord an den Ureinwohnern vor. Ihre Hauptforderung ist die Rückgabe von Land an die weitgehend verarmten Bauern und Landarbeiter. Sie kündigten an, bis zum Tode weiterzukämpfen.
Die Gefechte zwischen den Indianer-Rebellen und den Regierungssoldaten hatten am 1. Januar begonnen. Die Aufständischen hatten mehrere Städte und Ortschaften besetzt, aus denen sie aber bereits wieder vertrieben worden sind. Die Zahl der Opfer wurde offiziell mit bisher knapp 100 angegeben. In inoffiziellen Berichten ist dagegen von mehr als 400 Toten die Rede.